Um die Einstufung ihres stofflichen Medizinprodukts als solches und nicht als Arzneimittel zu erreichen, müssen Hersteller oft nachweisen, dass komplexe Inhaltsstoffe primär durch physikalische Mechanismen wirken.

Dieser Fachartikel gibt Hilfestellungen.

1. Komplexe Inhaltsstoffe: Um was es geht

a. Was komplexe Inhaltsstoffe sind

Komplexe Inhaltsstoffe bei stofflichen Medizinprodukten sind Komponenten, die aus mehreren chemischen Verbindungen bestehen und deren Zusammensetzung oder Wirkweise nicht eindeutig zuzuordnen ist.

Manuka-Honig enthält etwa über 14 komplexe Inhaltsstoffe wie Methylglyoxal, die zur antibakteriellen und antiseptischen Wirkung des Honigs beitragen.

Das zweite Kapitel stellt viele Beispiele von Medizinprodukten mit komplexen Inhaltsstoffen und deren Wirkweisen vor.

Diese komplexen Inhaltsstoffe können aus natürlichen Quellen wie Pflanzenextrakten oder tierischen Produkten stammen oder vollständig synthetisch hergestellt werden.

Ihre Komplexität ergibt sich aus der Anzahl und Art der beteiligten Moleküle, der räumlichen Struktur und den chemischen Bindungen zwischen diesen Molekülen.

2. Herausforderungen bei komplexen Inhaltsstoffen

a. Komplexe Inhaltsstoffe identifizieren

Die erste Herausforderung für Hersteller besteht darin, die Inhaltsstoffe und deren Konzentrationen zu bestimmen. Andernfalls lassen sich weder die Sicherheit noch die Wirksamkeit der Produkte nachweisen.

b. Physikalische Wirksamkeit nachweisen

Auch regulatorisch sind diese komplexen Inhaltsstoffe nicht immer eindeutig zuzuordnen. Hersteller müssen dafür mehrere Fragen verlässlich beantworten:

  • Ist die Hauptwirkung nur physikalisch?
  • Kann man metabolische Reaktionen gänzlich ausschließen?
  • Mit welchen Analysen weist man das nach?
  • Spielen Wirkgrenzen oder die Art der Aufnahme (lokal oder systemisch) eine Rolle?

Falls metabolische Reaktionen stattfinden, fällt das Produkt unter das Arzneimittelrecht und nicht unter das Medizinprodukterecht.

c. Regulatorische Konsequenzen beherrschen

Beispielsweise ist bei pflanzlichen Mehrkomponentenmischungen die Pharmakodynamik oft unbekannt oder nicht eindeutig bestimmbar. Damit fällt es schwer, die Hauptwirkungsweise zu bestimmen.

Im Zweifel: Arzneimittel

Laut MDCG 2022-5 kommt in Zweifelsfällen – also wenn nicht klar ist, welcher Stoff für die beabsichtigte Hauptwirkung des Produkts verantwortlich ist – Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2004/27/EG zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Anwendung.

Damit wird das Produkt als Arzneimittel betrachtet.

„Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen … die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind …“

Arzneimittelgesetz § 2 Abs. 1 Nr. 1

Notwendigkeit von Konsultationsverfahren

Für Produkte, die zur Erreichung ihrer Zweckbestimmung systemisch resorbiert werden (Klasse-III-Produkte gemäß Anhang XIII 7.8 Regel 21 MDR), ist ein Konsultationsverfahren mit einer zuständigen Arzneimittelbehörde oder der EMA gemäß Abschnitt 5.4 des Anhangs IX der MDR erforderlich.

Dieses Konsultationsverfahren ist auch Voraussetzung für die Genehmigung einer möglichen klinischen Prüfung des Produkts und muss bei Einreichung bei der Ethikkommission und der Landesbehörde vorliegen.

Für Medizinprodukte, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die dazu bestimmt sind, in den menschlichen Körper eingeführt oder auf die Haut aufgetragen zu werden und dabei vom menschlichen Körper absorbiert oder lokal im Körper verteilt werden und dabei der Definition eines Medizinprodukts im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der MDR entsprechen, ist kein Konsultationsverfahren angedacht.

3. Beispiele für komplexe Inhaltsstoffe

Es gibt viele Beispiele für Inhaltsstoffe, die als komplex gelten und deren Hauptwirkung nicht immer zweifelsfrei festgelegt werden kann.

a. Manuka-Honig

Manuka-Honig wird oft damit beworben, dass er Entzündungen und Infektionen lindern könne. Aufgrund seines hohen Gehalts an Phenolsäuren hat der Manuka-Honig eine natürliche Süße mit leicht holzigem Geschmack und wird daher auch vielen Medizinprodukten als „Geschmacksstoff-Komponente“ zugesetzt.

Die chemische Charakterisierung zeigt die Komplexität der Inhaltsstoffe und die unterschiedlichen Wirkkomponenten. Die Anteile der Wirkkomponenten variieren dabei stark, abhängig vom Herkunftsland des Honigs.

Wirkstoff Anteil Funktion, Wirkung
Methylglyoxal (MGO) 300–1.200 mg/kg Starke antibakterielle Wirkung, wirksam gegen viele Bakterienstämme einschließlich MRSA und VRE; entzündungshemmend; antioxidativ
Dihydroxyaceton (DHA) Variabel Vorstufe von MGO; wird während der Honig-Reifung zu MGO umgewandelt
Wasserstoffperoxid Gering Antiseptische Wirkung; fördert die Wundheilung
Leptosperin Nicht spezifiziert Bioaktive Substanz; trägt zur gesundheitsfördernden Wirkung bei
Phenolverbindungen (Kaffeesäure, Ferulasäure, Syringasäure, Quercetin, Isorhamnetin, Luteolin) Nicht spezifiziert Antioxidative Wirkung; unterstützen die antibakterielle Aktivität
3-Phenyllactic Acid Nicht spezifiziert Antimykotische und antibakterielle Wirkung
Zucker (Glucose, Fructose) Hauptbestandteil Energielieferant; osmotische Wirkung
Mineralien (z. B. Calcium, Kalium, Magnesium) Spurenelemente Unterstützen Hautregeneration und Stoffwechselprozesse; wichtig für Zell- und Nervenfunktion
Vitamin B1 (Thiamin) Spurenelemente Unterstützt den Energiestoffwechsel und Nervenfunktion
Vitamin B2 (Riboflavin) Spurenelemente Wichtig für Zellwachstum und Energieproduktion
Vitamin B6 (Pyridoxin) Spurenelemente Beteiligt an Proteinstoffwechsel und Immunfunktion
Biotin Spurenelemente Fördert Haut- und Haargesundheit
Nicotinsäureamid (Niacin) Spurenelement Wichtig für Energiestoffwechsel und DNA-Reparatur
Enzyme (z. B. Glucose-Oxidase) Nicht spezifiziert Katalysieren die Bildung von Wasserstoffperoxid
Tabelle 1: Übersicht über die in Mauka-Honig enthaltenen Wirkstoffe

b. Isländisch Moos (Cetraria islandica)

Die therapeutische Wirkung von Isländisch Moos basiert auf dem Zusammenspiel vieler Inhaltsstoffe, insbesondere der schleimbildenden Polysaccharide und der Flechtensäuren. Es wird traditionell zur Linderung von Reizhusten, Entzündungen im Mund- und Rachenraum sowie bei temporärer Appetitlosigkeit eingesetzt.

Inhaltsstoff Anteil Funktion
Polysaccharide (Lichenin und Isolichenin) ~50 % Bilden Schutzfilm auf Schleimhäuten; reizlindernd, entzündungshemmend
Proteine (Rohprotein) ~24,8 % Nährwert, Strukturbildung
Flechtensäuren (hauptsächlich Fumarprotocetrarsäure) 2–3 % Antibakterielle Wirkung, Bitterstoff
Rohfaser ~4,6 % Verdauungsfördernd
Usninsäure Spuren Antibiotische Wirkung
Fettsäuren (Rocellsäure und Lichesterinsäure) Gering Antimikrobielle Wirkung
Vitamin A Gering Antioxidativ; wichtig für Sehkraft und Immunsystem
Vitamin B1 Gering Unterstützt Energiestoffwechsel und Nervenfunktion
Vitamin B12 Gering Wichtig für Blutbildung und Nervensystem
Iod Gering Unterstützt Schilddrüsenfunktion
Kieselsäure Gering Stärkt Bindegewebe und Knochen
Bitterstoffe Gering Appetitanregend, verdauungsfördernd
Wasser Variabel Strukturerhaltung, abhängig vom Trocknungsgrad
Tabelle 2: Übersicht über die in lsändisch Moos enthaltenen Wirkstoffe

c. Heilerde

Heilerde ist ein Naturprodukt, das hauptsächlich aus fein gemahlenen Lehm-, Löß-, Ton- oder Moorerden, überwiegend aus natürlichen Mineralien wie Silikat, Kalkspat, Dreischichttonmineralien, Feldspat und Dolomit besteht.

Heilerde als Arzneimittel

Heilerde ist in Deutschland als Arzneimittel zugelassen, da spezifische therapeutische Wirkungen (Neutralisierung von Magensäure) nachgewiesen werden können, insbesondere bei der Behandlung von Magen-Darm-Beschwerden wie Sodbrennen, säurebedingten Magenbeschwerden und Durchfall.

Diese Zulassung basiert auf ihrer traditionellen Anwendung und der dokumentierten Wirksamkeit über Jahrzehnte hinweg. Nach den regulatorischen Anforderungen reicht es aus, dass der Hersteller nachweist, dass das Produkt seit mindestens 30 Jahren sicher und wirksam angewendet wird, um eine Zulassung als traditionelles Arzneimittel zu erhalten.

Heilerde als Medizinprodukt

Heilerde ist aber auch als stoffliches Medizinprodukt erhältlich. Ein Beispiel ist die Luvos® Heilerde mikrofein, die unter anderem zur Bindung von Cholesterin und Fetten aus der Nahrung, zur Unterstützung der Darmsanierung sowie zur Linderung von Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt wird.

Die Wirkung von Heilerde beruht in diesem Fall auf ihrer hohen Adsorptionsfähigkeit. Sie bindet überschüssige Säuren, Giftstoffe, Bakterien und Fette im Verdauungstrakt und hilft so, Beschwerden zu lindern. Diese Wirkung erfolgt lokal im Magen-Darm-Trakt ohne systemische Resorption, was sie von pharmakologisch wirkenden Arzneimitteln unterscheidet.

Die Körnung (verfügbare Oberfläche) und der Aggregatzustand sind für die Qualifizierung als Arzneimittel oder als Medizinprodukt entscheidend!

d. Weitere Produkte mit komplexen Inhaltsstoffen

Weitere Beispiele für komplexe pflanzliche Wirkstoffkomponenten in stofflichen Medizinprodukten listet die Leitlinie MDCG 2022-5.

Die Inhaltsstoffe würden für sich allein genommen als Arzneimittel gelten und können daher, wenn sie in einem Medizinprodukt enthalten sind, zu einer Einstufung als Medizinprodukt der Klasse III gemäß Regel 14 des Anhangs VIII der Verordnung (EU) 2017/745 führen.

In solchen Fällen muss der Hersteller nachweisen, dass es sich bei den verwendeten Wirkstoffen um eine Nebenwirkung zur hauptbestimmungsgemäßen Wirkung des Produkts handelt.

Inhaltsstoff Zweckbestimmung, Wirkung
Yerba Santa (Eriodictyon californicum) oral bei Asthma, Bronchitis, Laryngitis, Sinusitis und Heuschnupfen
Nelkenöl (Caryophylli aetheroleum) antiseptische, schmerzlindernde und beruhigende Eigenschaften
Malve (Malva silvestris) entzündungshemmende Eigenschaften
Ringelblume (Calendula officinalis) entzündungshemmende und antiseptische Eigenschaften
Lavendel (Lavandula angustifolia) antiseptische Eigenschaften
Kamille (Chamomilla recutita) entzündungshemmende, antiseptische und spasmolytische Wirkung, Schmerzlinderung
Mäusedorn (Ruscus aculeatus root) zur Behandlung von Hämorrhoiden; hemmt Entzündungen und wird als Abführmittel verwendet
Johanniskraut (Hypericum perforatum) entzündungshemmende, antiseptische und schmerzlindernde Eigenschaften
Frauenmantel (Alchemilla vulgaris) entzündungshemmende und adstringierende Eigenschaften
Santakraut (Eriodictyon crassifolium) fördert Speichelproduktion; wird bei Lungenleiden und zum Stillen von Blutungen verwendet
Thymian (Thymus vulgaris) desinfizierende, antiseptische und schleimlösende Eigenschaften
Fenchel (Foeniculum vulgaris) verschiedene medizinische Anwendungen
Salbei (Salvia officinalis) antibiotische und antimykotische Eigenschaften
Eibischwurzel (Althaea officinalis) beruhigender Effekt auf Schleimhäute (befeuchtend)
Weidenrindenextrakt (Salix alba) keratolytisch, entzündungshemmend und schmerzlindernd
Teebaumöl (Melaleuca alternifolia) antiseptische, antimikrobielle und entzündungshemmende Eigenschaften
Lavendelöl (Lavandula angustifolia) beruhigend, angstlösend und stimmungsaufhellend
Pfefferminzöl (Mentha piperita) Linderung bei Magen-Darm-Erkrankungen
Kurkuma (Curcuma longa) entzündungshemmende Wirkung
Ingwer (Zingiber officinale) Wirkung bei Übelkeit und Erbrechen
Tabelle 3: Beispiele für Inhaltsstoffe und Zweckbestimmungen

Bei der Verwendung dieser komplexen Inhaltsstoffe in stofflichen Medizinprodukten ist es wichtig, den genauen Wirkmechanismus zu dokumentieren und sicherzustellen, dass die Hauptwirkung auf physikalischen oder physikochemischen Effekten beruht und nicht auf pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen. Dies ist entscheidend für die korrekte Klassifizierung und Regulierung des Produkts.

4. Herausforderungen meistern

a. Komplexe Inhaltsstoffe identifizieren

Analyse und Charakterisierung komplexer Inhaltsstoffe sind ein wichtiger Teil der Produktentwicklung und Qualitätssicherung.

Alle im Produkt verwendeten Stoffe/Wirkstoffkomponenten müssen sorgfältig dokumentiert und ihre Wirkungsweisen analysiert werden. Hierzu werden Extraktionen in verschiedenen Lösungsmitteln (z. B. Hexan, Ethanol, Wasser) durchgeführt.

Danach folgen Analysen mittels

  • Gas- oder Hochleistungsflüssigkeits-Chromatografie,
  • Massenspektrometrie und
  • Kernspinresonanzspektroskopie.

Das Ziel dieser Analysen dient der Bestimmung

  • jeder einzelnen Komponente,
  • deren jeweiligen Strukturen sowie
  • von Verunreinigungen und
  • Abbauprodukten.

b. Produktreinheit sicherstellen

Für den Nachweis der Reinheit von Medizinprodukten im Herstellungsprozess ist die Richtlinie VDI 2083 Blatt 21 als allgemein anwendbarer, übergeordneter Standard dienlich.

Sie enthält eine strukturierte Vorgehensweise und hilft bei der Entscheidung, ob Akzeptanzkriterien für die Produktreinheit notwendig sind und falls ja, wie diese abgeleitet werden können.

Darüber hinaus stellt sie geeignete und aussagekräftige Analysemethoden für die verschiedenen Arten von Verunreinigungen – biologisch, chemisch oder partikulär – vor.

Die risikobasierte Festlegung von Akzeptanzkriterien bleibt trotz dieser Richtlinie eine Herausforderung im Bereich der Medizintechnik, da keine normativen Vorgaben vorhanden sind. Vielmehr liegt es in der Verantwortung der Hersteller bzw. Inverkehrbringer, diese im Rahmen einer Risikobewertung festzulegen.

Die erstmalige Aufbereitung und die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten beim Anwender und die Beurteilung der biologischen Verträglichkeit von Medizinprodukten (Biokompatibilität nach den Normen in der Reihe ISO 10993) sind nicht Gegenstand dieser Richtlinie.

c. Physikalische Wirkungsweise nachweisen

Besondere Vorsicht ist bei komplexen Inhaltsstoffen geboten, die grundsätzlich pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirkende Komponenten enthalten.

Nicht-physikalische Wirkweisen ausschließen

Der Hersteller muss unter anderem wissenschaftlich nachweisen, dass solche Begleitstoffe bei der Erfüllung der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung des Produkts keine signifikante Rolle spielen.

Physikalische und chemische Eigenschaften bestimmen

Um die Konsistenz eines stofflichen Medizinprodukts zu charakterisieren, bedarf es einer Analyse der physikalischen und chemischen Eigenschaften.

Diese beginnt mit der Bestimmung des Aggregatzustands. Dann werden Dichte, Viskosität, thermische Eigenschaften, elektrische Leitfähigkeit, optische und mechanische Merkmale untersucht, um das Verhalten des Materials zu verstehen.

Chemische Analysen beinhalten Löslichkeit, Reaktivität, antimikrobielle Wirkung und Säure-/Basenbeständigkeit, was Aufschluss über Bioverfügbarkeit und Stabilität gibt.

Diese umfassende Charakterisierung ist entscheidend für die technische Dokumentation, die Risikobewertung und die Klassifizierung des Produkts gemäß der Medizinprodukteverordnung. Die gewonnenen Daten beeinflussen die Einstufung als Medizinprodukt oder Arzneimittel und bestimmen den Umfang zusätzlicher klinischer Studien.

Fazit: Eine gründliche Konsistenzcharakterisierung ist somit unerlässlich für einen erfolgreichen Zulassungsprozess und den Nachweis von Sicherheit und Wirksamkeit des Produkts.

Wirkkonzentration geeignet wählen

Die Wirkkonzentration muss, um die Abgrenzung zu Arzneimitteln sicherzustellen, so gewählt sein, dass die Wirkung primär physikalisch/chemisch bleibt (z. B. pH-Wert-Änderung, Barrierefunktion).

In-vitro-Experimente durchführen

In-vitro-Experimente mit Titrations- und Verdünnungsreihen mit synthetisch hergestellten unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen können pharmakologische Effekte auf Testorganismen eventuell ausschließen und somit eine Arzneimittelklassifizierung vermeiden.

Bei topischen Präparaten (Cremes) bestimmen Konzentration und galenische Formulierung, ob der Wirkstoff nur oberflächlich (physikalisch) oder systemisch (pharmakologisch) wirkt. Die Durchführung dieser Experimente bleibt dennoch schwierig und die systemische Wirkung im Körper in den meisten Fällen ungeklärt.

d. Biologische Sicherheit nachweisen

Die Auswahl und Verträglichkeit der eingesetzten Werkstoffe und Stoffe müssen die Hersteller bewerten (gemäß ISO 10993), insbesondere hinsichtlich Toxizität sowie Kompatibilität zwischen den verwendeten Materialien einerseits und biologischen Geweben, Zellen und Körperflüssigkeiten andererseits.

Es folgt die Verifizierung aller für das Produkt festgelegten chemischen und/oder physikalischen Spezifikationen (durch In-vitro– oder In-vivo-Studien).

e. Alternative Inhaltsstoffe wählen

Hersteller konzentrieren sich zunehmend auf die Verwendung von einfachen, klar definierten Substanzen, deren physikalische oder chemische Wirkungsweise leicht nachzuweisen ist. Beispiele hierfür sind:

  • Salzlösungen: Natriumchlorid-basierte Produkte für Nasensprays oder Spüllösungen, deren Wirkung auf osmotischen Prinzipien beruht
  • Oberflächenaktive Substanzen: Verwendung von Stoffen wie Simeticon oder Polyethylenglycolen, deren entschäumende Wirkung auf rein physikalischen Eigenschaften basiert
  • Entwicklung von Hydrogelen mit definierten physikalischen Eigenschaften für Wundauflagen oder Befeuchtungsprodukte
  • Einsatz von Mikroemulsionen zur verbesserten Barrierefunktion in Hautpflegeprodukten
  • Forschung an osmotisch wirksamen Abführmitteln, die keine pharmakologische Wirkung haben
  • Entwicklung von Produkten zur Normalisierung des pH-Werts, z. B. in Vaginalcremes oder Magensäureneutralisatoren
  • Entwicklung von inerten Polymeren für Tränenersatzflüssigkeiten oder Schleimhautbefeuchtung
  • Verwendung von chemisch modifizierten natürlichen Substanzen, die ihre pharmakologische Aktivität verloren haben.

Diese Forschungsansätze zielen darauf ab, stoffliche Medizinprodukte zu entwickeln, deren Hauptwirkung eindeutig auf physikalischen oder chemischen Mechanismen beruht. So können Hersteller eine klare Abgrenzung zu Arzneimitteln gewährleisten und den regulatorischen Anforderungen gerecht werden.

5. Tipps

1. Tipp: Wirkungsweise detailliert analysieren

Der Hersteller muss die Hauptwirkungsweise des Produkts gründlich untersuchen und dokumentieren. Dabei muss objektiv und wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden, dass die Hauptwirkung auf physikalischem oder physikochemischem Weg erfolgt.

2. Tipp: Spezifische Tests durchführen

Es müssen geeignete In-vitro- und In-vivo-Tests durchgeführt werden, um die physikalische Wirkungsweise zu belegen und pharmakologische, immunologische oder metabolische Effekte auszuschließen. Für stoffliche Medizinprodukte mit Körperkontakt oder invasiver Anwendung sind klinische Studien oft unumgänglich.

3. Tipp: Nachweise dokumentieren

Alle Testergebnisse und wissenschaftlichen Belege müssen sorgfältig dokumentiert werden, um die physikalische Hauptwirkungsweise zu bestätigen.

4. Tipp: MDCG 2022-5 nutzen

Der im MDCG 2022-5-Dokument bereitgestellte Entscheidungsbaum sollte genutzt werden, um die korrekte Qualifizierung des Produkts sicherzustellen.

5. Tipp: Expertenmeinung einholen

Bei Unsicherheiten sollte eine unabhängige Expertenmeinung zur Qualifizierung des Produkts und zur Überprüfung der Nachweise eingeholt werden.

6. Tipp: Qualifizierung und Klassifizierung frühzeitig durchführen

Es ist wichtig, diesen Prozess frühzeitig zu beginnen, um mögliche Fehler bei der Einstufung zu vermeiden und rechtliche Auseinandersetzungen und enorme Kosten zu verhindern.

7. Tipp: Austausch mit Benannter Stelle frühzeitig suchen

Suchen Sie den Austausch mit Ihrer Benannten Stelle so früh wie möglich. Fragen Sie in einem „structured Dialoge“ nach konkreten verfahrenstechnischen Details und regulatorischen Aspekten für ihr stoffliches Medizinprodukt.

Die Benannten Stellen formulieren ihr Angebot wie folgt:

„The purpose of a structured dialogue prior to lodging a formal MDR application with TÜV SÜD is to clarify the timing, procedural, and regulatory aspects of the application process and forms, and the submission documents.“ (TÜV SÜD)

The structured dialogue is the formal process that allows manufacturers to clarify, in advance, procedural details, timelines, and regulatory aspects relevant to the certification process, based on the type, risk class, and specific characteristics of the medical device to be certified under the MDR. (ECM)

6. Fazit und Zusammenfassung

Bei vielen stofflichen Medizinprodukten mit komplexen Inhaltsstoffen sind die Nachweise schwierig, dass es

  • sich tatsächlich um ein Medizinprodukt handelt und
  • es die Anforderungen der MDR erfüllt.

Doch für viele Herausforderungen gibt es Lösungsansätze, die wissenschaftlich fundiert aufgearbeitet werden müssen.

Die „Clinical and Safety Affairs Experts“ des Johner Instituts helfen Herstellern, die Herausforderungen bei allen Schritten der Produktzulassung zu meistern:

  • Festlegung der Qualifizierung und Klassifizierung des Produkts als (stoffliches) Medizinprodukt in Zusammenarbeit mit den Medical Device Experts
  • Analyse des Wirkmechanismus der Inhaltsstoffe, um eine korrekte Abgrenzung zu Arzneimitteln sicherzustellen und eine unbeabsichtigte Einstufung in Klasse III zu vermeiden (klinische Strategie/ Biokompatibilitätsanalysen)
  • Dokumentation für Konformitätsbewertungsverfahren: Erstellen der kompletten klinischen Bewertungsakte, Vorbereiten von notwendigen Analysen und Studien zum Nachweis der Wirkungsweise und systematische Literaturrecherche zu Ihrem Stand der Technik
  • Interpretation von Anforderungen und Rückmeldungen der Benannten Stellen sowie Unterstützung bei der Kommunikation mit den Benannten Stellen
  • Beseitigung regulatorischer Abweichungen
  • Agieren als EU-Bevollmächtigter, falls der Firmensitz außerhalb der EU liegt (PRRC/QMS)



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