Diese Woche wird vor dem Landgericht Berlin eine wichtige Frage zur Medienfreiheit verhandelt: Dürfen Journalisten offizielle Dokumente aus laufenden Strafverfahren veröffentlichen? Ja, sagt Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat – vor allem, wenn die Dokumente für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse sind.
Deshalb veröffentlichte er im August 2023 Beschlüsse zu Durchsuchungsbefehlen und der Abhörung eines Pressetelefons der „Letzten Generation“, einer Gruppe von Klimaaktivisten in Deutschland. Zu dieser Zeit befand sich die öffentliche Debatte um die Letzte Generation auf ihrem Höhepunkt, da darüber diskutiert wurde, ob es sich bei den Aktivisten um eine „kriminelle Organisation“ handele. Die Staatsanwaltschaft München ließ daraufhin die Wohnungen von sieben Angehörigen der „Letzten Generation“ durchsuchen und monatelang die Telefongespräche der Aktivisten mit Journalisten abhören.
Die Begründung der Staatsanwaltschaft blieb jedoch unklar, da kein Medium die Entscheidungen veröffentlichte. Das war ihnen gesetzlich nicht gestattet, da die Veröffentlichung von Dokumenten aus einem laufenden Strafverfahren nach § 353d Nr. 3 mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet wird. Der Grund: Mögliche Einflussnahme auf die Wahrheitsfindung.
Das deutsche Recht verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
Trotzdem – oder gerade deshalb – veröffentlichte Arne Semsrott die Dokumente und riskierte eine Verurteilung. Er will zeigen: Mit seinem absoluten Veröffentlichungsverbot schränkt der Paragraf die Pressefreiheit ein. Das verstößt nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits mehrfach entschieden: Ein Veröffentlichungsverbot solcher Dokumente muss stets gegen das Informationsinteresse der Presse und Öffentlichkeit abgewogen werden. Darüber hinaus ist das Verbot nur dann rechtmäßig, wenn die Entscheidung der Gerichte oder die Unschuldsvermutung durch die Veröffentlichung tatsächlich beeinflusst oder beeinträchtigt wird.
Das deutsche Gesetz prüft all das jedoch nicht – und verbietet pauschal jede journalistische Veröffentlichung der Dokumente.
Gefahr für die Presse – Rückenwind für Fake News
Besonders gefährlich ist das Gesetz in Zeiten, in denen Desinformation ein größeres Problem darstellt. Es führt zu Einschränkungen bei der Berichterstattung der Presse und schließt die Möglichkeit aus, mit Originaldokumenten im Zusammenhang mit Strafverfahren zu arbeiten. Die Konsequenz: Der Gesetzgeber drängt auf eine Berichterstattung ohne Fakten. Und faktenbasierte Berichterstattung wird kriminalisiert.
Das Gesetz scheint nicht nur veraltet, es ist es auch. Die Ursprünge des Straftatbestands liegen im Deutschen Kaiserreich und reichen bis in eine Zeit zurück, als sich die Monarchie durch die freie Presse bedroht fühlte. Deshalb setzen sich Journalistenverbände seit langem dafür ein, dass das Gesetz endlich abgeschafft oder reformiert wird.
Ein Fall für das Verfassungsgericht
Am 16. Oktober 2024 beginnt in Berlin das Hauptverfahren gegen Arne Semsrott. Ob er die Beschlüsse veröffentlicht hat, steht außer Frage. Aber sollte ein Journalist für die korrekte Berichterstattung bestraft werden? Wir wollen zeigen, dass § 353d verfassungswidrig ist und abgeschafft werden muss. Das Gericht hat die Möglichkeit, dies selbst anzuerkennen und Arne wegen der Veröffentlichung nicht zu verurteilen. Wenn ja, werden wir den Fall vor das Verfassungsgericht bringen, damit das Gesetz endlich geändert wird, um die Pressefreiheit zu stärken.