Stangenteich 2, 21521 Sachsenwald – mindestens 21 Unternehmen haben aktuell unter dieser unscheinbaren Adresse ihren Firmensitz. Doch keine Fabrik, kein großes Geschäftsgebäude, ja nicht einmal ein Parkplatz findet sich dort. Rund eine Stunde Fußmarsch vom nächsten Ort entfernt, am Ende eines schlammigen Forstwegs und wenige Meter nach einem „Zutritt Verboten“-Schild erhebt sich zwischen hohen Bäumen nur ein einsames Reetdach. 

Die alte Jagdhütte am Teich gibt ein idyllisches Bild ab. Erst auf den zweiten Blick wirkt so manches Detail ein wenig deplatziert: Mehrere Briefkästen an der Außenwand der Hütte, Firmennamen auf den Klingelschildern und ein kleines Metallschild neben der Tür: „Büro“. In dieser einsamen Jagdhütte betreibt Graf Gregor von Bismarck, Ururenkel des Reichsgründers Otto von Bismarck, seit rund einem Jahrzehnt eine Steueroase, von der millionenschwere Unternehmen profitieren – und vor allem Bismarck selbst.

  • Eine Steueroase mitten im norddeutschen Mischwald

    ZDF Magazin Royale

  • An der Außenwand aus Holz hängen Briefkästen und ein Klingelschild mit der Aufschrift "Büro".

    An der Außenwand hängt ein Metallschild mit der Aufschrift „Büro“

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  • Drei Briefkästen hängen an der Außenwand aus Holz.

    Briefkästen stören das idyllische Bild

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  • Eine Hütte mit Reetdach umgegeben von einem Wald. Vor der Hütte ist ein kleines Schild mit der Aufschrift "privat".

    Hütte am Stangenteich: Rund eine Stunde Fußmarsch entfernt vom nächsten Ort

    ZDF Magazin Royale

Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale haben wir uns in den letzten Monaten durch das Handelsregister gewühlt, Tabellen mit Steuerausgleichsberechnungen gesichtet und historische Gesetze gewälzt. Wir haben etliche E-Mails an Ministerien, Ämter und einen Landrat geschrieben. Wir waren mehrmals unterwegs im schleswig-holsteinischen Mischwald und haben zu Methoden gegriffen, die einen Hauch von Spionagethriller tragen – und am Ende haben wir Graf Gregor von Bismarck auf Basis des Presserechts verklagt. Das Ergebnis ist ein detailliertes Bild über die absurdeste Steueroase der deutschen Geschichte: Bismarcks Hütte im Wald.

Der Wald der Millionäre 

Wer die Bismarcksche Steueroase zwischen Buchen und Eichen verstehen möchte, muss zuerst den Wald verstehen, in dem diese Hütte steht. Der Sachsenwald ist das größte Forstgebiet Schleswig-Holsteins, wenige Kilometer östlich von Hamburg gelegen. Einst war der Sachsenwald das Jagdrevier von Kaiser Wilhelm I., 1871 schenkte er ihn seinem Reichskanzler Otto von Bismarck als Dank, dass er Deutschland zum Deutschen Kaiserreich geeint hatte. Noch heute gehört ein Großteil des Sachsenwalds der Familie Bismarck, die am Rand des Waldes auf Schloss Friedrichsruh lebt.

Die Hütte im Sachsenwald liegt ungefähr 20 km östlich von Hamburg

(c) OpenStreetMap contributors

Zudem ist der Sachsenwald Ursprung für den enormen Reichtum der Familie Bismarck. Binnen weniger Jahre verwandelte Otto von Bismarck den vom Kaiser geschenkten Wald in einen florierenden Holzhandel, der ihn zu einem der reichsten Deutschen seiner Zeit machte. Heute wird das Vermögen der Familie Bismarck auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt.

Bismarcksche Familienunternehmen mitten im Wald

Das einstige Dampfsägewerk Friedrichsruh, mit dem sein Ururgroßvater den Grundstein für seinen Reichtum geschaffen hatte, betreibt Gregor von Bismarck noch heute. Allerdings hat er den Betrieb zwischenzeitlich deutlich verändert. Mittlerweile heißt das einstige Kernstück von Bismarcks Familienunternehmen „Sachsenwald Energy GmbH“ und hat seinen Geschäftszweck stark erweitert. Neben dem klassischen Kerngeschäft eines Holzbetriebs – Bearbeitung und Vertrieb von Holz sowie der Herstellung von Holzschnetzeln für Brennkraftwerke – zählen jetzt auch „Handel mit Rohstoffen, Devisen, Wertpapieren, Optionen und Index Futures“ zum Geschäft. Zudem hat das einstige Sägewerk, das jetzt auch am Finanzmarkt aktiv ist, seinen offiziellen Geschäftssitz verlegt: Von der Adresse „Am Sägewerk 4“ an die neue Anschrift „Am Stangenteich 2“ – die Hütte im Wald.

Satelittenaufnahme des Sachsenwalds

Veränderte Copernicus Sentinel Daten 2024 via Copernicus Browser

Der Sachsenwald

Mit knapp 70 km² ist es Schleswig-Holsteins größtes zusammenhängendes Waldgebiet. Große Teile des Waldes gehören seit mehr als 150 Jahren der Familie Bismarck, die bis heute ihren Stammsitz auf Schloss Friedrichsruh am Rande des Sachsenwalds hat.

Es ist nicht das einzige Unternehmen, das Gregor von Bismarck betreibt. Er ist unter anderem Geschäftsführer mehrerer Immobilienfirmen, einer Vermögensberatung und Treuhandgesellschaft und von Floh Enterprises, die eine Kombination aus Rucksack und Tretroller vertreiben; angeblich eine Erfindung von Gregor von Bismarck höchstpersönlich. All diese Unternehmen sind innerhalb der letzten zehn Jahre in die Hütte im Sachsenwald gezogen. Hinzugekommen sind mittlerweile auch eine zweistellige Anzahl an Tochterfirmen internationaler Unternehmen. All diese Firmen in Bismarcks Hütte können sich über einen überraschenden Standortvorteil mitten im Wald freuen: sehr niedrige Gewerbesteuern. Denn seit 1958 gilt im Sachsenwald ein Gewerbesteuerhebesatz von nur 275 Prozent – Unternehmen zahlen hier nur etwa halb so viel wie im nahen Hamburg.

Was ist die Gewerbesteuer?

Gewerbesteuer ist die Steuer, die Unternehmen auf ihren Gewinn zahlen. Sie ist die wichtigste Einnahmequelle für Gemeinden. Das Geld fließt etwa in Straßenbau, Schulsanierungen oder die Stadtreinigung. Einen Teil der eingenommenen Gewerbesteuer müssen die Gemeinden als Umlage an Bund und Land weiterleiten. Wie viel Gewerbesteuer die Unternehmen bezahlen müssen, ergibt sich aus dem Gewerbesteuerhebesatz. Den Hebesatz darf jede Gemeinde selbst wählen – einzige Einschränkung: Der Hebesatz muss mindestens 200 Prozent betragen. Der durchschnittliche Hebesatz in Deutschland liegt bei 407 Prozent. Manche Gemeinden setzen ihren Gewerbesteuerhebesatz gezielt sehr niedrig an, damit sich mehr Unternehmen bei ihnen ansiedeln und dort Steuern zahlen. Für Unternehmen ergeben sich durch die Standortwahl in einer solchen Steueroase leicht deutliche Steuersenkungen. Ein Unternehmen mit einem Gewerbeertrag von einer Million Euro müsste bei einem Hebesatz von 470 Prozent, wie er etwa in Hamburg gilt, rund 160.000 Euro Gewerbesteuer zahlen. Bei einem Hebesatz von 275 Prozent wären es hingegen nur etwas mehr als 90.000 Euro, also eine Steuerersparnis von fast 45 Prozent.

Gemeindefreies Gebiet: „ein historisches Relikt“

Ein Wald, der einen eigenen Gewerbesteuerhebesatz hat? Möglich macht dies eine Situation, die ihre Wurzeln in einer Zeit hat, in der Deutschland noch von einem Kaiser regiert wurde. Denn der geschenkte Sachsenwald ist nicht nur der Privatwald der Bismarcks, er ist gewissermaßen seit über einem Jahrhundert ihre private Verwaltungseinheit. Denn der Sachsenwald ist ein „gemeindefreies Gebiet“. Dort herrschen noch immer Sonderregeln, die ihren Ursprung in vordemokratischen Zeiten haben – in der „Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein“ aus dem Jahr 1892. Darin wurden selbständige Gutsbezirke als gleichberechtigte kommunale Verwaltungsform anerkannt. In dieser gibt es keine gewählte Gemeindevertretung, stattdessen ist der Gutsbesitzer „Träger der öffentlich-rechtlichen Pflichten“ und verwaltet das Gebiet. 1927 wurden diese Sonderrechte für Gutsbezirke und deren Besitzer durch ein schleswig-holsteinisches Gesetz weitgehend abgeschafft. Doch dieses Gesetz, das bis heute gilt, hatte eine entscheidende Ausnahme: den Sachsenwald der Bismarcks. 

Gemeindefreie Gebiete gibt es in Deutschland noch einige. In der Regel sind es unbewohnte Wälder, Seen, Küstenstreifen oder Truppenübungsplätze in staatlicher Hand. Im Sachsenwald hingegen ist es ein Adeliger, der alle Rechte und Pflichten hat, die sonst einer demokratisch verwalteten Gemeinde zustehen. Und zu den Rechten und Pflichten einer Gemeinde gehört: Gewerbesteuer einnehmen. 

„Der zahlt die Steuern an sich selbst“

Als Gutsbesitzer des gemeindefreien Gebiets Sachsenwald darf Gregor von Bismarck einen Gutsvorsteher vorschlagen, der dann vom Landrat berufen wird. Dieser Gutsvorsteher übernimmt gemäß dem Gesetz von 1927 die „obrigkeitlichen Geschäfte“, also das Tagesgeschäft des Gutsbezirks. Er darf mitbestimmen, wie hoch der Gewerbesteuerhebesatz sein soll, aus dem sich errechnet, wie viel Gewerbesteuer die Unternehmen in dem Gebiet zahlen müssen. Und er ist zuständig dafür, die Gewerbesteuer dann auch tatsächlich zu kassieren. 

In den letzten Jahrzehnten haben die Bismarcks immer wieder ihre Angestellten zum Gutsvorsteher gemacht. Seit 2021 hat Andreas I. diesen Posten inne. Er ist seit weit über einem Jahrzehnt Mitarbeiter in der Verwaltung der Bismarcks und zudem Geschäftsführer einer Immobilienfirma – gemeinsam mit Gregor von Bismarck und mit Firmensitz in der Hütte im Wald. Dieser Angestellte und Geschäftspartner von Gregor von Bismarck ist aktuell dafür zuständig, die Gewerbesteuer einzutreiben, die seine eigene Firma und Bismarcks Firmen in der Hütte im Wald zahlen müssen – an den Sachsenwald von Gutsbesitzer Gregor von Bismarck. 

Als „eine Art interne Verrechnung“ hatte Schleswig-Holsteins damaliger Innenminister Hans-Peter Bull die Steuerpraxis im Sachsenwald 1990 skizziert. „Da es keine Gemeinde gibt, die Steuergläubiger sein kann, kann es auch keinen Steuerschuldner im eigentlichen Sinne geben“, sagte er in einer Landtagsdebatte. „Der zahlt die Steuern an sich selbst, oder wie ist das?“, witzelte eine Abgeordnete der SPD damals. Doch was 1990 für Heiterkeit unter den Abgeordneten sorgte, führt seit fast einem Jahrzehnt dazu, dass zahlreiche Unternehmen ihre Steuern nicht mehr an eine Stadt oder Gemeinde zahlen, sondern an einen Adeligen, der sein Sonderrecht einem juristischen Überbleibsel aus der Kaiserzeit verdankt.

Im Parlament kündigte Innenminister Bull damals an, dieses „historische Überbleibsel“ des gemeindefreien Gebiets im Laufe des folgenden Jahres abzuschaffen. Doch das Vorhaben, den Sachsenwald in die umliegenden Gemeinden einzugliedern, scheiterte. Die Gemeinden hatten Sorge, dass sie dadurch zusätzliche Kosten hätten, um die Forstwege zu unterhalten. Zugleich seien aus dem Wald keine Steuereinnahmen zu erwarten, die diese Kosten decken würden. 

Eine neue Adresse für millionenschwere Unternehmen

Die einstigen Sorgen über mangelnde Steuereinnahmen im Sachsenwald scheinen mittlerweile überholt. Denn neben den Firmen von Gregor von Bismarck sind aktuell auch zahlreiche weitere Firmen in der kleinen Hütte im Wald gemeldet: mehr als ein Dutzend Tochterunternehmen von Luxcara, Aves One und der Heinze Gruppe. Sie alle zahlen seitdem ihre Gewerbesteuer an den Sachsenwald und seinen Gutsbesitzer Gregor von Bismarck. Die meisten dieser Firmen tragen lange Namen wie Aves Rail Rent Hamburg GmbH & Co. KG, Aves Rail III Holding GmbH & Co. KG & Co. KG oder Luxcara Infrastructure GmbH.

Bei den Mutterunternehmen des Großteils dieser Firmen handelt es sich um zwei internationale und finanzstarke Unternehmen mit Hauptsitz in Hamburg. Luxcara, ein Asset Manager für erneuerbare Energien, verwaltet laut eigenen Angaben ein Portfolio mit einem Investitionsvolumen von sechs Milliarden Euro. Aves One, ein Bestandshalter für Güterwagen, hatte zum Jahresende 2020 eine Bilanzsumme von mehr als einer Milliarde Euro. Bis vor wenigen Jahren war Aves One noch im Prime Standard der Frankfurter Börse gelistet, einer Vorstufe des DAX. 2022 ließ sich der Konzern von seinem Hauptaktionär kaufen und von der Börse nehmen. Das Unternehmen kommentierte diesen Schritt mit einem Hinweis auf dadurch wegfallende Transparenzpflichten.

Nachhaltige Steueroase Sachsenwald

Wir haben die Muttergesellschaften und Geschäftsführer der 21 Unternehmen gefragt, warum sie sich ein nur wenige Quadratmeter großes Büro in einer Holzhütte mitten im Wald kilometerweit entfernt von der Zivilisation teilen. Die ebenso einhellige wie überraschende Antwort: Nachhaltigkeit. 

Der maßgebliche Grund für die Ansiedlung im Wald habe darin gelegen, dass der Großteil der Gewerbesteuereinnahmen zweckgebunden der Erhaltung des Sachsenwaldes zugutekomme, betont der Bestandshalter für Güterwagen Aves One. „Das passt einfach gut zu unserem Geschäft.“ Auch der milliardenschwere Investor Luxcara erklärt, es stehe im Einklang mit dem übergeordneten Unternehmensziel, die Energiewende voranzutreiben, wenn ihre Gewerbesteuern zugunsten des Waldes verwendet würden. Der Geschäftsführer der inzwischen insolventen Heinze-Gruppe schreibt, dass er aus privaten Gründen nicht von zuhause aus arbeiten könne und deshalb froh sei, wenn er Ruhe in seinem Büro im Sachsenwald finde. Offen bleibt dabei, wie ruhig es in einem Büro ist, in dem 21 Firmen in einem einzigen Raum arbeiten.

Und auch Graf Gregor von Bismarck führt hehre Umweltziele dafür an, dass seine Unternehmen seit Jahren ihre Steuern in seiner persönlichen Waldgemeinde zahlen: „Die von mir und Herrn I. geführten Unternehmen haben sich zu einer nachhaltigen Unternehmensführung verpflichtet. Daher haben sie den Forstgutsbezirk Sachsenwald als Betriebsstätte gewählt, denn die dort erhobenen Gewerbesteuern werden für die Erhaltung und Aufforstung des größten Waldes in Norddeutschland genutzt, der einen wertvollen Beitrag zur Klimawende leistet.“ 

Durch den Umzug in die Hütte im Wald spare Gregor von Bismarck keine Steuern, schreibt er uns. Zudem sei es falsch, dass er persönlich die eingenommene Gewerbesteuer erhalte: „Die Gewerbesteuer fließt dem gemeindefreien Gebiet Sachsenwald zu, wo sie vollständig für die Instandhaltung von Wegen und Brücken, die Wiederaufforstung sowie für Gehälter und andere Kosten verwendet wird.“ Was der Graf dabei nicht erwähnt: Dass ihm der Sachsenwald gehört, die Forstmitarbeitenden bei ihm angestellt sind und der mit der von ihm erwähnten Aufforstung verschränkte Holzhandel aus dem Sachsenwald seit Generationen zum Geschäft seiner Familie gehört.

Ein Büro wie eine verlassene Theaterkulisse

Einig sind sich alle Unternehmen, die in der Hütte im Wald gemeldet sind, dass sie dort keinesfalls Briefkastenfirmen betreiben, deren Zweck es sei, durch eine vorgetäuschte Betriebsstätte von den niedrigen Gewerbesteuern im Sachsenwald zu profitieren. Mitarbeitende seien regelmäßig vor Ort und würden die Büroflächen für betriebliche Zwecke nutzen. Zugleich weisen sowohl Aves One als auch Luxcara darauf hin, dass all ihre Tochterunternehmen gar keine Arbeitnehmer*innen beschäftigen würden und es sich um reine Verwaltungsgesellschaften handle. Gregor von Bismarck, der den Firmen Büroflächen in seiner Hütte im Wald vermietet, betont, dass am Stangenteich 2 „ordentliche Büros“ eingerichtet seien, die von allen dort ansässigen Unternehmen regelmäßig als Betriebsstätte genutzt würden.

Tatsächlich fallen bei einem flüchtigen Blick durch die großflächigen Fenster und Glastüren der Hütte sofort die deplatziert wirkenden Monitore zwischen rustikalen Massivholzmöbeln ins Auge. Doch schon auf den zweiten Blick offenbart sich ein Bild, das mehr an eine verlassene Theaterkulisse erinnert als an ein Büro, in dem teils Umsätze in Millionenhöhe generiert werden sollen. Leere Schreibtische; darunter leere Papierkörbe; daneben leere Aktenordner auf einer leeren Hängeregistratur. In der kleinen Büroküche steht Pfefferminztee, der seit vier Jahren abgelaufen ist. Die Uhr in der Küche hängt 19 Minuten hinterher. Ein ausgeschalteter Kühlschrank wird von einer Flasche Bismarck-Wasser offen gehalten. Es ist eine absurd anmutende Büro-Kulisse mitten im Wald. Was wir an einem ganz normalen Dienstagmittag im September 2024 dort nicht sehen: Menschen, die in der Hütte arbeiten. Und das scheint nicht nur an diesem Tag so zu sein.

  • Auf einem Massivholztisch steht ein Monitor. Auf den Sesseln aus Holz liegen Sitzpolster mit einem weiß-roten Muster. Zwei Ordner liegen auf einem Beistelltisch.

    Rustikale Holzmöbel und deplatziert wirkende Monitore – verlassene Theaterkulisse oder Büro?

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  • Ein leerer Papierkorb steht auf einem Holzboden unter einem Schreibtisch.

    Leere Papierkörbe unter leeren Schreibtischen

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  • Zwei leere Aktenordner liegen auf einer leeren Hängeregisratur. Auf einem der Ordner liegt eine CD und ein rosa Textmarker.

    Leere Aktenordner auf einer leeren Hängeregistratur

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  • Auf einem Holztisch stehen mehrere Packungen an Teesorten.

    In der kleinen Büroküche steht Pfefferminztee, der seit vier Jahren abgelaufen ist

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  • Die Tür eines Kühlschranks wird von einer Flasche Wasser der Marke Bismarck offen gehalten.

    Ein ausgeschalteter Kühlschrank wird von einer Flasche Bismarck-Wasser offen gehalten

    ZDF Magazin Royale

Um herauszufinden, wie oft Menschen in der Hütte im Wald sind, in der 21 Unternehmen ihren Sitz haben, haben wir gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale über einen Zeitraum von zwei Monaten eine Wildkamera am einzigen öffentlichen Zufahrtsweg zur Hütte platziert. Jedes Mal, wenn sich dort jemand bewegt hat, hat die Kamera ausgelöst. 

„Regelmäßig als Betriebsstätte genutzt“

Das Ergebnis: In der gesamten Zeit – 44 Werktage zuzüglich Wochenenden – haben sich 25 mal Menschen in Richtung der Hütte bewegt und das bei 21 Firmensitzen in der Hütte am Stangenteich. Mal waren es Menschen auf Fahrrädern. Mal war es ein Auto. Mal waren es Fußgänger. Ob diese Menschen joggen, spazieren gehen oder auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz waren, wissen wir nicht. Aber bei dem Großteil der von uns dokumentierten Fällen waren die Menschen sehr wahrscheinlich nicht auf dem Weg zur Hütte, um dort im klassischen Sinne zu arbeiten. Sie waren offensichtlich Tourist*innen, machten eine Radtour am Wochenende oder fuhren mit dem Auto nach kurzer Zeit wieder in die Gegenrichtung. Wen wir hingegen ständig direkt an der Hütte im Wald gesehen haben: Eichhörnchen, Buntspechte und etliche Wildschweine.

  • Eine Wildkamera hängt an einem Baum, der im Wald steht.

    Die Wildkamera am einzigen öffentlichen Zufahrtsweg zur Hütte

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  • Ein weißer Lieferwagen fährt auf einer Forststraße durch einen Mischwald.

    Wenige Male fährt ein Auto vorbei

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  • Ein Fahrrad fährt auf einer Forststraße durch einen Mischwald.

    Manchmal fahren Menschen auf Fahrrädern vorbei

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  • Fahrräder fahren auf einer Forststraße durch einen Mischwald.

    Einige der Fahrräder fuhren nach wenigen Minuten wieder in die Gegenrichtung

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  • Wildschweine laufen durch den Mischwald.

    Wen wir oft gesehen haben: Eichhörnchen, Buntspechte und Wildschweine

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  • Ein Wildschwein steht im Dunkeln in einem Mischwald und schaut in die Richtung der Kamera.

    Auch nachts war Bewegung vor der Hütte

    ZDF Magazin Royale

Wir haben Gregor von Bismarck und die ansässigen Unternehmen gefragt, wie sie diese sehr geringe Zahl an Menschen rund um die Hütte erklären und wie dies mit ihren Aussagen in Einklang zu bringen ist, dass die Arbeitsplätze dort regelmäßig genutzt würden. Niemand von ihnen äußerte sich dazu konkret. Luxcara schrieb uns lediglich, die Geschäftsführung der Unternehmen sei „zumeist mindestens einmal im Monat“ zum Arbeiten in der Hütte. In früheren Antworten erwähnten Gregor von Bismarck und Luxcara, dokumentiert zu haben, wann und wie die Hütte im Wald als Betriebsstätte genutzt wurde. Beide haben wir gebeten, uns diese Daten für den Zeitraum der von uns dokumentierten zwei Monate zukommen zu lassen, damit wir unsere Erkenntnisse gegebenenfalls korrigieren können. Eine konkrete Antwort darauf erhielten wir nicht. 

Briefkastenfirmen, die ihre Briefkästen nicht nutzen?

Was wir in den gesamten zwei Monaten kein einziges Mal auf dem Zufahrtsweg zur Hütte gesehen haben: ein Postfahrzeug. Deshalb haben wir den Tochterfirmen der Hamburger Großunternehmen Aves One und Luxcara Briefe geschickt, die mit einem Tracker präpariert waren – an ihre Firmenadressen im Sachsenwald und mit exakt den Firmennamen als Empfänger, die auf den Briefkästen neben der Tür zu lesen sind.

Doch statt zur Hütte lieferte die Post sie zu einem anderen Firmensitz von Gregor von Bismarck: dem früheren Sägewerk am Rande des Walds. Von dort gingen die Briefe einen Tag später erneut auf die Reise und landeten in Hamburg – bei den Adressen der Mutterfirmen: Bei Aves One direkt an der Elbe und bei Luxcara mitten in der Innenstadt, unweit der Alster. Die Hütte im Wald –  also die Adresse auf dem Umschlag – erreichten die Briefe auf ihrem verschlungenen Weg nach Hamburg nicht. 

  • Vor dem Kölner Dom schmeißt eine Person einen Brief in einen gelben Briefkasten.

    Diese Briefe haben wir an die Hütte im Wald adressiert

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  • Ein Tracker steckt zwischen zwei Seiten in einem Prospekt.

    Mit Trackern konnten wir den Weg der Post verfolgen

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  • Ein Karte, die zeigt, wo sich der Tracker zu diesem Zeitpunkt befunden hat.

    Statt in der Hütte im Wald landete die Post bei einem Firmensitz von Gregor von Bismarck

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  • Über mehrere Postzentren gingen die Briefe weiter nach Hamburg

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  • Standort des Trackers in Hamburg auf einer Karte dargestellt.

    Die Post landete bei den Hauptsitzen von Luxcara und Aves One

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  • Ein weißer und ein brauner Brief stecken in einer Halterung neben einem Schreibtisch auf dem ein Monitor steht.

    Nach unserer Anfrage an Aves One landete ein Brief offenbar doch noch in der Hütte

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Nachdem einer unserer Briefe seit der Zustellung an einem Freitagvormittag das Wochenende über am Hauptsitz von Aves One in Hamburg verweilte, konnten wir verfolgen, wie sich der Tracker am Montagmorgen erneut bewegte. Diesmal allerdings ohne Umwege über Postverteilungszentren und binnen kürzester Zeit über die direkte Autostrecke: in die Hütte im Wald am Stangenteich 2. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Aves One bereits mit den Ergebnissen unserer Recherche konfrontiert. Kurz bevor unser Tracker den Firmensitz von Aves One in Richtung Sachsenwald verließ, schrieb uns der Konzern, das Büro in der Hütte im Wald werde regelmäßig von ihnen genutzt. Bei unserem erneuten Besuch der Hütte zwei Tage später war unser Brief mit dem im Werbeprospekt versteckten Tracker offenbar von außen gut sichtbar neben einem der Tische drapiert.

Warum Post, die an Mieter seiner Hütte im Wald adressiert ist, erst an eine andere Geschäftsadresse von ihm ausgeliefert und dann von dort weiterverschickt wird, beantwortete Gregor von Bismarck trotz mehrfacher Nachfrage nicht. In einer ersten Antwort erklärte er, dass sich sein Geschäftsverhältnis mit den Firmen in seiner Waldhütte auf das Vermieten von Büroflächen beschränke und er keine Bürodienstleistungen für sie übernehme. „Es kommt vor, dass wir uns hilfsweise die wenigen Briefe, die noch per Post an uns geschickt werden, weiterleiten lassen“, schrieb uns Aves One – und wiederholte zugleich, das Büro im Wald regelmäßig zu nutzen. Luxcara teilte uns mit, die „Verarbeitung“ der Post an die Unternehmen in der Hütte im Wald erfolge „regelmäßig am dortigen Geschäftssitz“. Den von uns beschriebenen Sendungsverlauf könne man nicht mehr nachvollziehen. Zwei Werktage zuvor hatte unser Brief den Luxcara-Hauptsitz erreicht. Dort endete auch das Signal unseres Trackers.

Tochterunternehmen und Briefkastenfirmen

Hier zeige sich ein typisches Problem, sagt Christoph Trautvetter, Koordinator des Netzwerks Steuergerechtigkeit: „Unternehmen zahlen oft ihre Steuern nicht dort, wo sie erarbeitet werden, sondern verschieben ihre Gewinne über Tochterunternehmen dorthin, wo niedrigere Steuern anfallen.“ Das hohe Unternehmensaufkommen in der Hütte mitten im Wald wirft ihm zufolge die Frage auf, ob dabei die Grenze zur Illegalität überschritten wurde. „Deswegen müssten Behörden hier sehr genau hingucken“, fordert Trautvetter. Illegal sei eine Gewinnverschiebung immer dann, wenn den Behörden eine Geschäftstätigkeit vor Ort vorgetäuscht wird, die es nicht gibt. Und bei Bismarcks Steueroase im Sachsenwald gebe es diesbezüglich einige Anhaltspunkte für eine vertiefte Prüfung.

Die Hamburger Finanzverwaltung äußert sich auf Nachfrage nicht dazu, ob sie darüber im Bilde ist, dass millionenschwere Hamburger Unternehmen ihre Tochterfirmen in einer Hütte im Wald angesiedelt haben. Auch ob deswegen gegen die Unternehmen ermittelt werde, beantworten Finanzbehörde und Steuerfahndung nicht und verweisen auf das Steuergeheimnis. Zugleich betont die Finanzbehörde, dass ihr „das Thema missbräuchlicher Steuergestaltungen von Unternehmen in Kommunen mit auffallend niedrigem Hebesatzniveau“ bekannt sei. Darunter falle auch das „bloße Vorhalten eines Briefkastens“.

Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit weist zudem auf einen zentralen Punkt hin, der die Bismarcksche Steueroase im Wald zur Absurdität macht: Dass ein adeliger Großgrundbesitzer im Jahr 2024 in Deutschland mit Hilfe seines Gutsvorstehers seine eigenen Steuern erheben kann. „Das Prinzip haben wir ja eigentlich beendet und gesagt, wir entscheiden das demokratischer“, führt Trautvetter aus. „Wir zahlen Geld in die Gemeindekasse und dann entscheidet die Gemeinschaft darüber, wie Steuern verwendet werden und nicht der Herrscher.“

Wie viel Geld fließt in den Sachsenwald?

Eine entscheidende Frage bleibt am Ende offen: Wie viel Gewerbesteuer kassieren der Sachsenwald und dessen Gutsbesitzer Gregor von Bismarck seit rund einem Jahrzehnt von all den Firmen in der Hütte? 

Eigentlich sollte es ein Leichtes sein, das herauszufinden. Das Statistische Amt Nord veröffentlicht auf seiner Website detailliert, wie viel Gewerbesteuer jede schleswig-holsteinische Gemeinde pro Jahr eingenommen hat. Die Gemeinden sind gesetzlich verpflichtet, diese Daten an das Statistikamt zu melden – so auch das gemeindefreie Gebiet Sachsenwald. Doch für den Sachsenwald sucht man auf der Website des Statistikamts vergeblich nach Zahlen. Auf unsere Nachfrage räumt das Amt ein, nach hausinternen Recherchen habe man festgestellt, dass keine Meldungen aus dem Sachsenwald vorliegen.

Das Innenministerium Schleswig-Holstein veröffentlicht alljährlich umfangreiche Berechnungen zum Kommunalen Finanzausgleich, einer Umverteilung von Steuereinnahmen zwischen Land, Kreisen und Kommunen. In den langen Tabellen listet die Behörde das Gewerbesteuer-Istaufkommen jeder einzelnen Gemeinde im Bundesland auf. Auch der Forstgutsbezirk Sachsenwald findet sich in einer der Listen. In der neuesten Berechnung, die das Ministerium veröffentlicht hat, steht als Gewerbesteuer-Istaufkommen des Sachsenwalds jedoch eine Angabe, die angesichts des regen Geschäftsaufkommens in der Waldhütte verwundert: Null Euro. 

Auch in früheren Berechnungen aus den letzten zwei Jahrzehnten, die wir durch das Informationsfreiheitsgesetz bekommen haben, findet sich für den Sachsenwald stets die gleiche Angabe: Ein Gewerbesteuer-Istaufkommen von Null Euro. Auf unsere Nachfrage räumt das Ministerium ein, dass auch dort die Zahlen aus dem Gutsbezirk Sachsenwald fehlen – und dass nun geprüft werde, inwiefern diese Datenlücke Auswirkungen auf den gesamten Kommunalen Finanzausgleich haben könnte. Beim Finanzministerium Schleswig-Holstein entdecken Mitarbeitende nach mehrfacher Nachfrage immerhin, dass der Gutsbezirk Sachsenwald ordnungsgemäß die Gewerbesteuerumlage an das Land abgeführt habe. Daraus schließt das Ministerium, dass im Sachsenwald eindeutig Gewerbesteuer erhoben wurde; wie viel Steuer Bismarcks Gutsvorsteher erhoben hat, kann aber dort niemand beantworten. Und auch im Landratsamt des Kreises Herzogtum Lauenburg und im Amt Hohe Elbgeest, der kleinsten Verwaltungseinheit über den Gemeinden, liegen keine Informationen vor, wie viel Gewerbesteuer im Sachsenwald anfällt.

Wer eindeutig wissen sollte, wie viel Geld durch die zahlreichen Firmensitze in der Hütte jedes Jahr in die Kasse von Bismarck und seinem Sachsenwald fließen: Gregor von Bismarck und sein Gutsvorsteher Andreas I.. Doch auf unsere Fragen dazu erhalten wir weder vom Gutsbesitzer noch von seinem Gutsvorsteher die erbetene Auskunft.

Deswegen haben wir Gregor von Bismarck jetzt verklagt; auf Grundlage des Presserechts. Wir wollen klare Antworten auf unsere Fragen. Denn zu den Rechten und Pflichten einer Gemeinde gehört nicht nur Gewerbesteuer einnehmen, sondern auch die Auskunftspflicht gegenüber der Presse – auch für einen adeligen Gutsbesitzer und seinen Gutsvorsteher. Erst recht im Jahr 2024.

Du willst wissen, wie es mit der Recherche weitergeht? Abonniere unseren Newsletter!

Im Zuge dieser Recherche waren wir mit zahlreichen Behörden im Austausch. Zudem haben wir Gregor von Bismarck sowie die Mutterunternehmen oder Geschäftsführer aller Firmen, die in der Hütte im Wald ihren Unternehmenssitz angemeldet haben, mehrfach um Stellungnahme zu unseren Rechercheergebnissen gebeten. Wir veröffentlichen hier den gesamten Mailverkehr, um unsere Recherche sowie die Ausführungen der Unternehmen transparent und vollständig darzustellen. Unsere Anfragen basieren dabei stets auf dem Recherchestand, den wir zum jeweiligen Zeitpunkt hatten und stimmen nicht immer mit späteren Ergebnissen überein. In den E-Mails widersprechen sich Behörden zuweilen gegenseitig, manch eine Stelle gibt nach mehrfacher Nachfrage eine andere Antwort als noch wenige Tage zuvor. Die Stellungnahmen von Gregor von Bismarck und den Unternehmen enthalten auch Aussagen, die wir nicht überprüfen können. Zudem findet sich in einer Antwortmail Bismarcks mindestens eine falsche Behauptung: Er schrieb uns, der Gewerbesteuerhebesatz des Sachsenwalds liege auf dem Niveau der umliegenden Gemeinden. Aktuell liegt der Hebesatz im Forstgutsbezirk Sachsenwald mehr als 100 Prozentpunkte unter allen anderen Gemeinden desselben Amtsgebiets.



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