Die europäische Gesetzgebung definiert Systeme und Behandlungseinheiten („systems and procedure packs“) und unterscheidet verschiedene Konstellationen. Die regulatorischen Anforderungen an die Hersteller hängen stark von diesen Konstellationen ab.
Lesen Sie in diesem Artikel, was die Gesetzgeber unter Systemen und Behandlungseinheiten verstehen, was die wichtigsten gesetzlichen Anforderungen an die Hersteller sind und welche typischen Fehler sie vermeiden sollten.
1. Systeme und Behandlungseinheiten: Was versteht man darunter?
a) Definitionen
Sowohl das Medizinproduktegesetz (MPG) als auch die Medizinprodukterichtlinie (MDD) stellen Anforderungen an die Inverkehrbringung von Systemen und Behandlungseinheiten. Aber beide definieren die Begriffe nicht. Dafür holt die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) – nicht zu verwechseln mit der deutschen Medizinprodukteverordnung (MPV) – dieses Versäumnis nach:
„System“ bezeichnet eine Kombination von Produkten, die zusammen verpackt sind oder auch nicht und die dazu bestimmt sind, verbunden oder kombiniert zu werden, um einen spezifischen medizinischen Zweck zu erfüllen;
Quelle: MDR, Artikel 2 (11)
Die MDR definiert auch den Begriff „Behandlungseinheit“:
„Behandlungseinheit“ bezeichnet eine Kombination von zusammen verpackten und in Verkehr gebrachten Produkten, die zur Verwendung für einen spezifischen medizinischen Zweck bestimmt sind;
Quelle: MDR Artikel 2 (10)
Die Definitionen machen klar, dass es einen Überlapp von Systemen und Behandlungseinheiten gibt (s. Abb. 1).
b) Beispiele für Systeme und Behandlungseinheiten
Beispiele von Kombinationen von Produkten, die Systeme und Behandlungseinheit sind:
- HF-Chirurgiegerät, das mit HF-Elektroden zusammen verpackt in Verkehr gebracht wird
- Implantat, das mit dem Knochenzement zusammen verpackt in Verkehr gebracht wird
- Spritzenpumpe, die mit einigen Disposable-Spritzen zusammen verpackt in Verkehr gebraucht werden
Zu den Beispielen für Kombinationen von Produkten, die ein System, aber keine Behandlungseinheit sind, zählen:
- Alle o.g. Beispiele, wenn die Produkte einzeln verkauft, aber (gemäß der Zweckbestimmung) verbunden oder kombiniert werden (sollen)
Beispiele von Kombinationen von Produkten, die eine Behandlungseinheit, aber kein System sind:
- Blutdruckmessgerät, das zusammen verpackt mit dafür geeignetem Desinfektionsmittel in Verkehr gebracht wird
- Infusionspumpe (Medizinprodukt) und Software zum Parametrieren von Infusionspumpen (Zubehör), die gemeinsam verpackt in Verkehr gebracht werden
c) KIS als System oder Behandlungseinheit?
Ein EUGH-Urteil besagt, dass Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) Nicht-Medizinprodukte sein können, die jedoch Module enthalten dürfen, die wiederum als Medizinprodukt klassifiziert sind. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob solch ein KIS einem System oder einer Behandlungseinheit im Sinne der gesetzlichen Definition entspricht.
d) Abgrenzungen zu Kombinationsprodukten
Kombinationen von Medizinprodukten und Arzneimitteln oder biologischen Produkten zählen als „Kombinationsprodukte“ und fallen nicht unter die Definition von „Systeme und Behandlungseinheiten“.
e) Abgrenzung zu Systemen gemäß IEC 60601-1
Auch die IEC 60601-1 spricht von Systemen, genau von „medizinischen elektrischen Systemen“, kurz von ME-Systemen. Sie definiert diese wie folgt:
„Kombination von einzelnen Geräten, wie vom Hersteller festgelegt, von denen mindestens eines ein ME-Gerät sein muss und die durch eine Funktionsverbindung oder durch den Gebrauch einer Mehrfachsteckdose zusammengeschlossen sind“
Quelle: IEC 60601-1 Kapitel 3.64
ME-Systeme werden im Gegensatz zu Systemen gemäß MDR nicht notwendigerweise vom Hersteller als „System“ ausgeliefert. Vielmehr setzen oft die Betreiber die ME-Systeme zusammen.
Liefert der Hersteller ein ME-System aus, kann dies in Form eines Medizinprodukts geschehen, das aus mehreren „Komponenten“ besteht, oder als System im Sinne der Medizinprodukteverordnung MDR.
f) Was keine Systeme und Behandlungseinheiten sind
Die MDCG hat die Leitlinie MDCG 2018-03 (hier der Link zur MDCG 2018-03 rev. 1) veröffentlicht. Darin gibt die MDCG einerseits Hilfestellung zur Vergabe von UDIs für Systeme und Behandlungseinheiten. Sie bestimmt darin aber auch, was sie nicht als System und Behandlungseinheit versteht:
Based on a request of a client or hospital, a natural or legal person in the supply chain may make available together different products, including CE marked devices, which are – in that entire combination – neither placed on the market by that natural or legal person, nor intended by that natural or legal person to be used together for a specific medical purpose. Devices made available in the described manner are not considered as systems or procedure packs.
MDCG 2018-03
Das heißt: Die Entscheidung darüber, ob das gemeinsame Inverkehrbringen von Produkten dazu führt, das diese als System oder Behandlungseinheit zu verstehen sind, hängt auch davon ab, ob der „Inverkehrbringer“ auch Inverkehrbringer eines der einzelnen Produkte dieses Systems oder dieser Behandlungseinheit ist.
Offensichtlich möchte die EU eine Vereinfachung für Firmen erreichen, die „nur“ Produkte in den Verkehr bringen, z.B. als „Convenience Kits“. Als Beispiel nennt die MDCG:
Example: a distributor supplies, upon request of a client, in one shipment, sterile tweezers, a sterile needle and surgery gloves.
MDCG 2018-03
2. Welche regulatorischen Anforderungen sind zu beachten?
Die europäische Rechtsprechung kennt zum einen die Medizinprodukterichtlinien, die in nationales (Medizinprodukte-)Gesetz überführt werden müssen, und zum anderen die EU-Medizinprodukteverordnungen (MDR, IVDR). Dieses Kapitel stellt die regulatorischen Anforderungen vor, die Hersteller erfüllen müssen, die Systeme oder Behandlungseinheiten in den Verkehr bringen.
- Medizinprodukterichtlinie MDD
- Medizinproduktegesetz MPG
- Deutsche Medizinprodukteverordnung MPV
- EK-Med
- EU-Medizinprodukteverordnung MPG
a) Medizinprodukterichtlinie (veraltet)
Die Medizinprodukterichtline MDD forderte in Artikel 12, dass die Hersteller von Systemen und Behandlungseinheiten eine Erklärung abgeben, die besagt, dass sie (die Hersteller)
die gegenseitige Vereinbarkeit der Produkte entsprechend den Hinweisen der Hersteller geprüft und die Arbeitsschritte entsprechend den Hinweisen durchgeführt haben;
das System oder die Behandlungseinheit verpackt und sachdienliche Benutzerhinweise, einschließlich der einschlägigen Hinweise der Hersteller, gegeben haben;
die gesamte Tätigkeit in geeigneter Weise intern überwacht und kontrolliert wurde.
Die MDD sprach nicht vom Hersteller. Dass sich die Anforderungen an Hersteller wenden, ergibt sich erst mittelbar aus der deutschen Umsetzung in MPG §10(1) und der MPV §7(6). Erst letztere spricht vom Hersteller, der die Erklärung auszustellen habe.
Die Hersteller müssen für diese Systeme und Behandlungseinheiten keine (erneute) Konformitätsprüfung durchlaufen. Der Gesetzgeber setzt aber voraus, dass „die Produkte eine CE-Kennzeichnung tragen [und] entsprechend ihrer Zweckbestimmung […] zusammengesetzt“ und verwendet werden.
Die MDD definierte „Produkte“ wie folgt:
„Medizinprodukte und Zubehör werden nachstehend „Produkte“ genannt.“
MDD Artikel 1
Damit sprach die MDD nur von Medizinprodukten und Zubehör, nicht von In-vitro-Diagnostika.
Sobald die Kombination ein Produkt enthält, das nicht gemäß der Zweckbestimmung verwendet wird, oder gar eines, das nicht konform mit der MDD in Verkehr gebracht wurde, darf diese Kombination (ohne Konformitätsbewertungsverfahren) nicht als System oder Behandlungseinheit in Verkehr gebracht werden.
Die Hersteller mussten die Erklärungen „für die zuständigen Behörden über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung zu halten“. Genaueres regelt das Medizinproduktegesetz mit seinen nationalen Verordnungen.
Offensichtlich waren sich die Behörden selbst nicht sicher, wann eine solche Erklärung abgegeben werden muss. Ein Regierungspräsidium schrieb an einen Kunden des Johner Instituts:
Wir haben den Vorgang noch einmal geprüft und auch in Rücksprache mit den anderen Regierungspräsidien beschlossen, dass wir eine zusätzliche Meldung als Systemzusammensteller zur Herstelleranzeige nicht akzeptieren.
Grund ist, dass die Kompatibilität der Zubehörsoftware zur Hauptsoftware im Rahmen Ihres Konformitätsbewertungsverfahrens ja bereits nachgewiesen sein muss. Eine Anzeige als Verantwortlicher für das Zusammensetzen von Systemen oder Behandlungseinheiten halten wir nur dann für erforderlich, wenn Sie für mindestens ein Medizinprodukt des Systems nicht Hersteller im Sinne des MPG sind.
Auf welcher Rechtsgrundlage diese Einschätzung erfolgte, erschließt sich aus dem Text nicht. Die großzügige Auslegung erscheint dennoch schlüssig und dürfte im Sinn vieler Hersteller sein.
b) Medizinproduktegesetz
Das deutsche Medizinproduktegesetz überführte den Artikel 12 der MDD durch den § 10 MPG in deutsches Recht. Der entsprechende Gesetzestext lautet:
(1) Medizinprodukte, die eine CE-Kennzeichnung tragen und die entsprechend ihrer Zweckbestimmung innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen zusammengesetzt werden, um in Form eines Systems oder einer Behandlungseinheit erstmalig in den Verkehr gebracht zu werden, müssen keinem Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen werden. Wer für die Zusammensetzung des Systems oder der Behandlungseinheit verantwortlich ist, muss in diesem Fall eine Erklärung nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 abgeben.
Das MPG untersagte im Absatz 4, dass die Systeme und Behandlungseinheiten mit einer zusätzlichen CE-Kennzeichnung versehen werden, und verlangte, dass notwendige Informationen vom Inverkehrbringer der Systeme bzw. Behandlungseinheiten mitgeliefert werden.
Auch das MPG betonte, das nur dann auf ein Konformitätsbewertungsverfahren für ein System oder eine Behandlungseinheit verzichtet werden darf, wenn dieses ausschließlich Medizinprodukte umfasst, die im Rahmen der ursprünglichen Zweckbestimmung eingesetzt werden.
Das MPG konkretisierte die Anzeigepflicht den Behörden gegenüber im § 25 „Allgemeine Anzeigepflicht“:
(2) Wer Systeme oder Behandlungseinheiten nach § 10 Abs. 1 zusammensetzt oder diese sowie Medizinprodukte nach § 10 Abs. 3 sterilisiert und seinen Sitz in Deutschland hat, hat der zuständigen Behörde unter Angabe seiner Anschrift vor Aufnahme der Tätigkeit die Bezeichnung sowie bei Systemen oder Behandlungseinheiten die Beschreibung der betreffenden Medizinprodukte anzuzeigen.
Demnach bestand für Verantwortliche für das Zusammensetzen von Systemen oder Behandlungseinheiten, sog. Assembler, eine Anzeigepflicht bei der zuständigen Behörde.
Die Hersteller mussten die Anzeige beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) tätigen. Sie wurde nach der Erfassung an die zuständige Landesbehörde zur Registrierung weitergeleitet.
Wir hatten uns vom Gewerbeaufsichtsamt der Regierung der Oberpfalz bestätigen lassen, dass die Hersteller Systeme und Behandlungseinheiten beim DIMDI über dessen Webseite anzeigen müssen.
c) Nationale Medizinprodukteverordnung (MPV)
Der o.g. § 10 MPG verwies auf die entsprechende Rechtsverordnung nach § 37 des Gesetzes. Diese Verordnung war die Medizinprodukteverordnung (MPV) in der Fassung vom 27.09.2016 inklusive des § 7 „Konformitätsbewertungsverfahren für die sonstigen Medizinprodukte“:
(6) Für Systeme und Behandlungseinheiten nach § 10 Abs. 1 des Medizinproduktegesetzes hat der Hersteller die Erklärung nach Artikel 12 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 93/42/EWG auszustellen. Die Erklärung ist mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren. Für Systeme und Behandlungseinheiten nach § 10 Abs. 2 des Medizinproduktegesetzes gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 entsprechend.
d) EK-MED
Auch der EK-MED diskutierte das Thema Systeme und Behandlungseinheiten, u.a. im Dokument 3.10 A 15. Dabei geht er darauf ein, was passiert, wenn die Produkte zwar alle ein CE-Zeichen tragen und im Sinne der Zweckbestimmung eingesetzt werden, aber Verfahren (z.B. beim Verpacken) angewendet werden, die die Produktqualität beeinflussen.
e) EU-Medizinprodukteverordnung (MDR)
Die europäische Medizinprodukteverordnung MDR führt die Konzepte der MDD weiter. Sie enthält dazu Artikel 22 „Systeme und Behandlungseinheiten“ und Artikel 29 „Registrierung von Produkten“. Die MDR regelt auch den Umgang mit der UDI.
Artikel 22 „Systeme und Behandlungseinheiten“ Absatz (1)
Der Artikel 22 der MDR entspricht dem Artikel 12 der MDD. Allerdings öffnet er in Absatz (1) c) die Türe für „sonstige Produkte“ und für In-vitro-Diagnostika.
Natürliche oder juristische Personen, die Produkte mit einer CE-Kennzeichnung mit folgenden anderen Medizin- oder sonstigen Produkten in einer mit der Zweckbestimmung der Medizin- oder sonstigen Produkte vereinbaren Weise und innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen kombinieren, um sie in Form eines Systems oder einer Behandlungseinheit in Verkehr zu bringen, müssen eine Erklärung abgeben:
1. sonstige Produkte mit CE-Kennzeichnung;
2. In-vitro-Diagnostika mit CE-Kennzeichnung gemäß der Verordnung (EU) 2017/746;
3. sonstige Produkte, die den für sie geltenden Rechtsvorschriften entsprechen, nur dann, wenn sie im Rahmen eines medizinischen Verfahrens verwendet werden oder wenn ihr Vorhandensein im System oder in der Behandlungseinheit anderweitig gerechtfertigt ist.
MDR Artikel 22, Absatz 1c
Der Begriff „sonstige Produkte“ ist in 1. und 3. unterschiedlich zu verstehen. Bei 1. ist ein Produkt gemäß Artikel 1, Absatz 4 ein Medizinprodukt, ein Zubehör oder ein Produkt gemäß Anhang XVI, das den Anforderungen der MDR genügen muss.
In 3. ist mit „Produkt“ ein Produkt im umgangssprachlichen Sinn gemeint, das nicht den Anforderungen der MDR unterliegt, aber konform mit anderen regulatorischen Anforderungen sein muss und daher ggf. auch eine CE-Kennzeichnung trägt.
Damit können Medizinprodukte und explizit auch Nicht-Medizinprodukte als System bzw. einer Behandlungseinheit in Verkehr gebracht werden.
Die Nicht-Medizinprodukte müssen die geltenden (europäischen) Rechtsvorschriften einhalten. Beispiele für solche Rechtsvorschriften sind EU-Verordnungen und EU-Richtlinien wie z.B. REACH (1907/2006/EG) und die Funkanlagen-Richtlinie (2014/53/EU).
Artikel 22 „Systeme und Behandlungseinheiten“ Absatz (2)
Absatz (2) fordert ebenfalls die Erklärung, die nun etwas genauer ausfallen und mit denen der Hersteller bestätigen muss, dass er die notwendigen Informationen bereitgestellt und eine geeignete Überwachung, Überprüfung und Validierung vorgenommen hat.
In der Erklärung gemäß Absatz 1 gibt die betreffende natürliche oder juristische Person an, dass sie
1. die gegenseitige Vereinbarkeit der Medizin- und gegebenenfalls sonstigen Produkte entsprechend den Hinweisen der Hersteller geprüft und ihre Tätigkeiten entsprechend diesen Hinweisen durchgeführt hat,
2. das System oder die Behandlungseinheit verpackt und die einschlägigen Benutzerhinweise angegeben hat, unter Einbeziehung der Informationen, die vom Hersteller der Medizin- und sonstigen zusammengestellten Produkte bereitzustellen sind,
3. die Zusammenstellung von Medizin- und gegebenenfalls sonstigen Produkten zu einem System oder einer Behandlungseinheit unter Anwendung geeigneter Methoden der internen Überwachung, Überprüfung und Validierung vorgenommen hat.
Die Forderung der MDR in diesem Artikel 22 Absatz 2 (3) nach „Überprüfung und Validierung“ geht über die entsprechende Anforderung der MDD in Artikel 12 (2)(c) hinaus. Demnach muss der Hersteller „nur“ bestätigen, dass „die gesamte Tätigkeit in geeigneter Weise intern überwacht und kontrolliert wurde.“
Überprüfung und Validierung (im Englischen „Verification and Validation“) erfordern implizit Vorgaben, gegen die der Hersteller verifizieren und validieren kann. Das wiederum bedingt beispielsweise eine Spezifikation des „kombinierten“ Systems. Eine solche (indirekte) Anforderung enthält die MDD nicht.
Artikel 22 „Systeme und Behandlungseinheiten“ Absatz (4)
Absatz (4) erwähnt erneut den Begriff „Produkte“:
Enthält das System oder die Behandlungseinheit Produkte, die keine CE-Kennzeichnung tragen, oder ist die gewählte Kombination von Produkten nicht mit deren ursprünglicher Zweckbestimmung vereinbar oder wurde die Sterilisation nicht gemäß den Anweisungen des Herstellers durchgeführt, so wird das System oder die Behandlungseinheit als eigenständiges Produkt behandelt und dem einschlägigen Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Artikel 52 unterzogen. Die natürliche oder juristische Person ist den für die Hersteller geltenden Pflichten unterworfen.
Im englischen Text heißt es:
Where the system or procedure pack incorporates devices which do not bear the CE marking .
Es sind somit die Produkte in der Definition des Artikels 1, Absatz 4 gemeint.
Die MDD verlangte eine erneute Konformitätsbewertung bei Systemen oder Behandlungseinheiten, wenn diese umfassen:
- Medizinprodukte, die ein CE-Kennzeichnung tragen, sowie
- Nicht-Medizinprodukte oder/und
- Medizinprodukte, die nicht in ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung eingesetzt werden
Hingegen fordert die MDR eine erneute Konformitätsbewertung bei Systemen oder Behandlungseinheiten, wenn diese umfassen:
- Medizinprodukte, die ein CE-Kennzeichnung tragen, sowie
- Medizinprodukte, die keine CE-Kennzeichnung tragen (das könnten z.B. FDA-zugelassene Medizinprodukte sein) oder/und
- Medizinprodukte, die nicht in ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung eingesetzt werden
Die Kombination eines Medizinprodukts mit einem Nicht-Medizinprodukt ohne erneute Konformitätsbewertung schließt die MDR im Gegensatz zur MDD wie oben dargestellt gerade nicht mehr aus.
Artikel 29 „Registrierung von Produkten“
Eine im Vergleich zur MDD zusätzliche Anforderung der MDR besteht darin, dass die Hersteller für das System bzw. die Behandlungseinheit eine UDI vergeben und in die EUDAMED eingeben:
(2) Bevor ein System oder eine Behandlungseinheit gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 3, bei dem bzw. der es sich nicht um eine Sonderanfertigung handelt, in Verkehr gebracht wird, vergibt die zuständige natürliche oder juristische Person für das System oder die Behandlungseinheit im Einklang mit den Vorschriften der Zuteilungsstelle eine Basis-UDI-DI und gibt sie zusammen mit den anderen in Anhang VI Teil B aufgeführten zentralen Datenelementen zu diesem System oder dieser Behandlungseinheit in die UDI-Datenbank ein.
Der Anhang VI beschreibt diese Anforderungen noch genauer.
UDI: Anhang VI Teil C
Die MDR legt in Absatz 3.7 der Anhangs VI zur Unique Device Identification (UDI) fest: „Systeme und Behandlungseinheiten gemäß Artikel 22 erhalten und tragen ihre eigene UDI.“ In 6.3.1 konkretisiert sie:
„Die in Artikel 22 in Bezug genommene natürliche und juristische Person ist verantwortlich für die Kennzeichnung des Systems oder der Behandlungseinheit mit einer UDI, in der sowohl die UDI-DI als auch die UDI-PI enthalten sind.“
Schließlich regelt die MDR noch, wo die UDI aufzubringen ist:
6.3.2. Produktinhalte von Systemen oder Behandlungseinheiten tragen einen UDI-Träger auf ihrer Verpackung oder auf dem Produkt selbst.
Ausnahmen:
1. Bei Einwegprodukten für den einmaligen individuellen Gebrauch, deren Anwendung den Personen, die sie verwenden sollen, allgemein bekannt ist, die in einem System oder einer Behandlungseinheit enthalten sind und die nicht für die individuelle Verwendung außerhalb des Systems oder der Behandlungseinheit vorgesehen sind, ist es nicht erforderlich, dass sie einen eigenen UDI-Träger tragen.
2. Bei Produkten, die von der Pflicht des Anbringens eines UDI-Trägers auf der einschlägigen Verpackungsebene ausgenommen sind, ist es nicht erforderlich, dass sie einen UDI-Träger tragen, wenn sie in ein System oder eine Behandlungseinheit einbezogen sind.
6.3.3. Anbringen des UDI-Trägers auf Systeme oder Behandlungseinheiten
1. In der Regel wird der UDI-Träger eines Systems oder einer Behandlungseinheit auf der Außenseite der Verpackung angebracht.
2. Der UDI-Träger ist lesbar oder lässt sich im Falle von AIDC scannen, unabhängig davon, ob er sich auf der Außenseite der Verpackung des Systems oder der Behandlungseinheit oder innerhalb einer durchsichtigen Verpackung befindet.
MDR, Anhang VI, Absatz 6.3.2
Zusammenfassung der Änderungen durch die MDR
Die wesentlichen Änderungen, die die MDR im Gegensatz zur MDD einführt, sind:
- Systeme und Behandlungseinheiten dürfen Nicht-Medizinprodukte beinhalten.
- Die Hersteller müssen bestätigen, dass sie diese „Kombination“ verifiziert und validiert haben, was wiederum u.a. Spezifikationen bedingt, gegen die verifiziert und validiert werden kann.
- Systeme und Behandlungseinheiten bedürfen einer eigenen UDI.
f) Vorgaben der FDA an Systeme und Behandlungseinheiten
Die FDA kennt noch den Begriff des „Convenience Kits“:
„Convenience kit means two or more different medical devices packaged together for the convenience of the user.“
Quelle: FDA 21 CFR 801.3
Dieser entspricht zwar eher Behandlungseinheit, wobei die Behandlungseinheit nicht unterscheidet, ob das gemeinsame Verpacken der „Convenience“ dient. Bei dem Convenience Kit geht es auch nicht darum, dass die Produkte notwendigerweise (alle) zusammen einem medizinischen Zweck dienen.
Beispiele für Convenience Kits sind Erste-Hilfe-Kästen oder Sets von Produkten, die für eine bestimmte Operation bereits zusammen verpackt wurden. Die Anforderungen an die Vergabe von UDI an diese Kits hat die FDA in einem eigenen Guidance Document „UDI Convenience Kits“ publiziert.
Die FDA kennt zudem noch „Device Packages“:
„Device package means a package that contains a fixed quantity of a particular version or model of a device.“
Quelle: FDA 21 CFR 801.3
Dies entspricht aber nicht den Systemen und Behandlungseinheiten im Sinne der europäischen Gesetzgebung.
3. Zusammenfassung & Fazit
a) Regulatorische Anforderungen
Die MDR hat im Vergleich zur MDD dahingehend eine Erleichterung eingeführt, dass Systeme und Behandlungseinheiten Nicht-Medizinprodukte enthalten dürfen. Diese müssen die Hersteller gemäß MDR verifizieren und valideren, was die MDD so nicht explizit forderte.
Die mangelnde Übersetzung der MDR ins Deutsche führt zu missverständlichen und irreführenden Anforderungen insbesondere im Artikel 22.
Die MDR bedarf im Gegensatz zur MDD keiner Überführung in nationales Recht mehr. Bei der Frage, wie gut diese bei der MDD gelang, kommt RA Dr. Banz zum Schluss:
„[…] ist es nahezu unmöglich, die bei wörtlicher Anwendung von §10 Abs. 2 MPG entstehenden Hürden und Anforderungen zu erfüllen. Diese Schwierigkeiten, verbunden mit dem Fehlen jeder Begründung des Gesetzgebers für das Überschreiten des durch Art. 12 Abs. 2 S. 2 MDD vorgegebenen Rahmens, führen zu dem Ergebnis, dass möglicherweise doch eine unsaubere Implementierung der Richtlinie in nationales Recht vorliegt.“
Die Tatsache, dass sich die Behörden selbst uneins darüber sind, wann eine Erklärung zu einem System oder einer Behandlungseinheit abgegeben werden muss (s.o.), schafft weitere Rechtsunsicherheit.
b) Unkenntnis der regulatorischen Anforderungen
Vielen Herstellern sind die regulatorischen Anforderungen nicht bekannt, die sie erfüllen müssen, wenn sie Systeme und Behandlungseinheiten verkaufen wollen. Armin Gärtner schreibt uns dazu:
„Die Aufsichtsbehörden verlangen zunehmend in Krankenhäusern die Artikel–12-Erklärungen, z. B. für Gerätewagen der Endoskopie, aber auch für andere Systeme, die von einem Hersteller geliefert wurden. Leider machen das viele Hersteller aus Unkenntnis nicht. Andere verschieben die Verantwortung für das Zusammenstellen von verkauften Einzelprodukten auf die Krankenhäuser, die das in der Regel nicht wissen und nicht verstehen.“
c) Abgrenzungen
Dieser Artikel hat nicht die Kombinationsprodukte (Medizinprodukte und Arzneimittel) diskutiert. Er ist auch nicht darauf eingegangen, wann es sinnvoll ist, Produkte einzeln, als Systeme oder Behandlungseinheiten oder als ein Produkt zu vermarkten.
Update: Eine ältere Version dieses Artikels bezog sich auf die fehlerhafte deutsche Übersetzung der MDR und kam daher zu inkorrekten Schlussfolgerungen. Diese wurden behoben. Danke an Jörg Schmidt.
Änderungshistorie
- 2024-08-06: Verweis in 1.d) ergänzt. Kapitel 2.a) bis 2.d) in Vergangenheitsform umformuliert
- 2020-03-18: Erste Version des Artikels